Scheitern mit Methode

„Promovieren heißt scheitern“ von Atilla Vuran und Gunnar H. Seide

Jochen Barte

Angefangen hatte die ganze Misere mit einer E-Mail ihres Professors: „Beiliegend die Ausschreibung für eine interessante und wichtige Tagung. Da müssen wir unbedingt teilnehmen, um ein neues Thema für unser Institut in die Öffentlichkeit zu bringen. Bitte melden Sie sich an und tragen Sie vor.“ Laura hatte null Ahnung, was sie denn dort vortragen sollte. „Wir machen doch auf diesem Gebiet gar nichts“, hatte sie sich gedacht. Gut, es gab sicherlich ein paar Ideen für den ein oder anderen Forschungsauftrag, aber bisher noch keinerlei Ergebnisse. Wie sollte man darüber einen kompletten Vortrag halten?
Eine typische Frage, die sich in etwas abgewandelter Form sicher schon jeder Promovend im Laufe seiner Studienzeit irgendwann gestellt haben dürfte und die zwangsläufig zu weiteren Problempunkten führt, nämlich Selbstvertrauensverlust, Angst und Stress. Hierzu versuchen die Autoren Atilla Vuran und Gunnar H. Seide in ihrem gemeinsamen Buch PROMOVIEREN HEISST SCHEITERN einen strukturierten Leitfaden anzubieten und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Das Buch ist episodisch gegliedert und richtet sich, wie der Titel deutlich macht, explizit an Promovierende. Hauptfigur ist die fiktive Doktorandin Laura Schillberg, die während ihrer Promotion an einem technischen Institut immer wieder schwierige Situationen und auch kleine und größere Krisen zu meistern hat. Wie sie damit umgeht und was sie daraus lernt, haben die Autoren anschließend in knapper Form theoretisch aufbereitet, grafisch veranschaulicht und mit weiterführenden Literaturhinweisen versehen. Darüber hinaus erhält der Leser anhand von gezielten Fragen und Aufgabe-stellungen in jedem Kapitel die Möglichkeit zur systematischen Selbstreflexion, sodass er am Ende des Buches alle Stadien einer Promotion von der Themafindung bis hin zur Ergebnispräsentation durchlaufen hat. Mit dem Effekt, so hoffen die Autoren, dass der Leser seine Promotion erfolgreich meistert und sich dabei auch fachlich und persönlich weiterentwickelt. Kernthese des Buches ist die Aussage, dass Promotionen nicht in erster Linie aus fachlichen Gründen scheitern, sondern aufgrund persönlicher Probleme aufgegeben werden. Beispielsweise wenn die Promotion nicht zu den grundsätzlichen Lebenszielen des Promovenden passt, das private Umfeld das Vorhaben nicht mitträgt oder ganz generell keine Lösungsstrategien für kommunikative Probleme bekannt sind. Dass das Scheitern im Kleinen hierbei unvermeidbar ist, setzen die Autoren voraus. Nicht jedes Gespräch mit dem Doktorvater, der Doktormutter, dem Freund oder der Freundin wird über den Zeitraum einer Promotion hinweg problemlos verlaufen. Dies sollte aber nicht gleich zum Scheitern an sich führen, sondern zu persönlichem Wachstum. Der Aufbau und die Episoden sind daher so gestaltet, dass der Promovierende sehr früh die Möglichkeit hat, sich über sich selbst und seine Ziele klar zu werden sowie Probleme frühzeitig zu erkennen und entsprechende Lösungsstrategien zu entwickeln, damit das Scheitern im Großen ausbleibt. Wie Laura Schillberg soll es so dem Leser gelingen, Krisen zu überwinden, soziale Beziehungen konstruktiv zu gestalten und am Ende dem Doktorvater oder der Doktormutter fachlich fundiert und auf Augenhöhe gegenüberzutreten.
Das Konzept des Buches ist originell, wenngleich der Titel etwas sperrig daherkommt. Es unterscheidet sich wohltuend von der Masse an Ratgebern am Markt, von der es sich als Arbeitsbuch auch ausdrücklich abgrenzen will. Die Figur der Doktorandin Laura Schillberg ist liebevoll gezeichnet und die geschilderten Situationen wirken authentisch. Nur gelegentlich fehlt der sprachlich-erzählerische Feinschliff, wenn beispielsweise überkommene stereotype Wahrnehmungsmuster allzu unreflektiert und gewollt szenisch arrangiert werden. So findet sich im Kapitel Auch Professoren sind Menschen folgender Satz: „Der Chef des Hauses konnte nicht nur gut kochen – wie alle Südländer konnte er es auch mit den Frauen.“ Ein solcher banaler Griff in die kulturelle Klischeekiste ist völlig unnötig, zumal er inhaltlich in der konkreten Situation nichts zur Fortentwicklung des gewählten Erzählstranges beiträgt. Auch dass die beschriebenen Doktorandinnen immer drahtig und sportlich daherkommen, ist eine Information, auf die der kritische Leser nicht unbedingt gewartet hat. Aber dies sind lediglich Kleinigkeiten, die einem gut durchdachten Konzept keinen Abbruch tun. Praktisch wichtige Kommunikations- und Theoriemodelle (z.B. Watzlawik, Schulz von Thun) werden erörtert und in leicht verständlicher Sprache dargestellt. Wie auch insgesamt der Sprachstil sehr angenehm auffällt. Das Buch ist durchgängig leicht lesbar und aufgrund der Aufgaben und Reflexionsfragen, die optisch gut integriert sind, auch leicht auf die individuelle Situation anwendbar. Nach und nach wird deutlich wie das punktuelle „Scheitern“ die eigene Entwicklung fördern kann. Lediglich in Bezug auf die weiterführenden Hinweise fehlt ein wenig der wissenschaftliche Wumms. Doktoranden darf man hier schon mehr Anspruch zumuten als die im Durchschnitt drei bis vier Literaturangaben pro Kapitel. Andererseits sind die angegeben Quellen gut ausgewählt. Insbesondere aus Büchern wie Daniel Golemans Bestseller Konzentriert Euch! kann ein geneigter Leser sehr viel Nutzen ziehen, wie auch die grundsätzliche fachliche Expertise der Autoren nicht in Frage steht: Beide Verfasser verfügen über langjährige Erfahrung in der Betreuung von Doktoranden.
Zusammenfassend lässt sich daher feststellen, dass die beiden Autoren ein nützliches Buch geschrieben haben, das insbesondere jüngeren Promovierenden und auch Master-Studenten unbedingt zu empfehlen ist. Wer sich mit den im Buch formulierten Aufgaben und Fragestellungen ernsthaft auseinandersetzt, wird aus seinen Fehlern mit hoher Wahrscheinlichkeit lernen und – trotz aller Arbeit und notwendigem Stress – auch Freude und Spaß am Promovieren und Wachsen haben können.

Das Buch ist im Jünger Medien Verlag erschienen. Atilla Vuran, Gunnar H. Seide: PROMOVIEREN HEISST SCHEITERN, 241 Seiten, 24,90 EUR, ISBN-10: 3766499424

Veröffentlicht von on Sep 11th, 2017 und gespeichert unter BESPRECHUNGEN, LITERATUR. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Gehen Sie bis zum Ende des Beitrges und hinterlassen Sie einen Kommentar. Pings sind zur Zeit nicht erlaubt.

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