Titel 14 justament dezember  2002 M aßregelvollzugsanstalt Brandenburg / Havel  im  November  2002.  Hier  sitzt der  wegen  Mordes  und  versuchten  Tot- schlags   angeklagte   Frank   Schmökel   ein, vor  gut  zwei  Jahren  Deutschlands  meist- gesuchter    Schwerverbrecher.    In    seinem Einzelzimmer    werden    Rasierklingen    ge- funden, versteckt in der Gardine. Er habe die  Klingen  nur  zum  Basteln  verwenden wollen, erklärt er dazu. Diese Panne der Justizbehörden ist nur eine   von   vielen   im   Fall   des   Straftäters Frank    Schmökel.    Die    Geschichte    seiner Fluchten  ist  ein  Offenbarungseid  für  den Maßregelvollzug, sein Lebenslauf macht es schwer, an eine Besserung von Sexualstraf- tätern zu glauben. Vier Ausbrüche in drei Jahren Als Kind wird er immer wieder von seiner Mutter    geschlagen,    wohl    auch    sexuell missbraucht. Seine eigene Sexualität ist von  Anfang  an  ab- norm,   als   Jugend- licher    vergeht    sich der gelernte Rinderzuchtarbeiter an Tieren, lebendigen oder toten. 1988 wird er zum ersten  Mal  wegen  versuchter  Vergewalti- gung  an  einer  14-Jährigen  verurteilt,  ein Jahr später vorzeitig entlassen. 1993 erhält er   wegen   Vergewaltigung   und   sexuellen Missbrauchs  eines  Kindes  mit  Todesfolge eine  Freiheitsstrafe  von  fünf  Jahren  und sechs Monaten. Er wird in eine Klinik ein- gewiesen,   bekommt   im   darauffolgenden Jahr Osterurlaub, aus dem er nicht zurück kommt.   Statt   dessen   missbraucht   er   ein elfjähriges Mädchen und würgt es fast zu Tode.  Er  wird  gefasst,  die  Strafe  auf  14 Jahre    erhöht,    wieder    Unterbringung    in einer psychiatrischen Klinik. Zwischen 1995 und 1997 flieht er viermal aus dem Maßregelvollzug,    1998    taucht    er    ganz unter,    begeht    mehr    als    70    Straftaten, davon  15  Raubüberfälle.  Die  Opfer  sind vorwiegend  alte  Frauen,  einige  vergewal- tigt er, zwei 90-jährige Opfer sterben. Nach  erneuter  Festnahme  und  Unter- bringung in der Psychiatrie darf er im Okt- ober 2000 seine Mutter in Strausberg be- suchen,  begleitet  von  zwei  Pflegern  und einem  Pädagogen.  Schmökel  sticht  einen der Pfleger mit einem Küchenmesser nie- der und flieht. Auf seiner Flucht versteckt er sich in einer Bungalowanlage, wird dort von einem Rentner überrascht, den er mit einem Spaten erschlägt. Schließlich gelingt der   Polizei   am   7.   November   2000   nach einem Schuss in den Bauch seine Festnah- me. Jetzt    hat    der    Prozess    gegen    Frank Schmökel  vor  dem  Landgericht  Frankfurt an  der  Oder  begonnen,  das  aus  Sicher- heitsgründen  in  Neuruppin  tagt.  In  dem Verfahren   wird   es   auch   um   Schmökels Schuldfähigkeit gehen. Und darum, ob er wieder   in   der   Psychiatrie   untergebracht wird oder seine Strafe in einer Haftanstalt absitzen muss. Das Urteil wird noch im De- zember erwartet. Besserung und Sicherung Nach § 63 StGB ordnet das Gericht bei schuldunfähi- gen   oder   nur vermindert schuldfähigen Tätern die Unterbringung   in   einem   psychiatrischen Krankenhaus an, wenn von dem Täter in- folge   seines   Zustands   erhebliche   rechts- widrige Taten zu erwarten sind und er des- halb  für  die  Allgemeinheit  gefährlich  ist. Diese  Unterbringung  –  eine  der  in  §  61 StGB  genannten  sechs  Möglichkeiten  der „Maßregeln der Besserung und Sicherung“ –  kann  neben  der  Haftstrafe  angeordnet werden,  aber  auch  zusätzlich  zu  ihr.  Sie dient  zwei  Zielen:  Sicherheit  für  die  Öf- fentlichkeit   und   Besserung   beziehungs- weise   Therapie   des   Einsitzenden.   Diese beiden Ziele miteinander zu verbinden, ist eine Gratwanderung, denn echte oder ver- meintliche     Therapieerfolge     führen     zur Lockerung der Zwangsunterbringung und damit  zumindest  zur  potenziellen  Gefah- renerhöhung für die Öffentlichkeit. Zur Beurteilung der Schuldunfähigkeit begutachten sachverständige Psychologen und Psychiater den Angeklagten. Die Ent- scheidung treffen letztendlich die Richter, die   an   das   Gutachten   nicht   gebunden sind. Der schuldunfähige oder nur vermin- dert schuldfähige gefährliche Täter kommt so lange in den Maßregelvollzug, bis von ihm keine weiteren Straftaten zu erwarten sind. Wann das ist, entscheidet ein Gericht auf der Grundlage eines Prognosegutach- tens,  wiederum  erstellt  von  Psychothera- peuten. In  ihrer  Einschätzung  über  den  seeli- schen   Zustand   der   Straftäter   liegen   die Gutachter allerdings recht häufig daneben. Die Kriminologische Zentralstelle in Wies- baden hat ermittelt, dass jeder fünfte Kin- derschänder    erneut    ein    Kind    angreift, wenn  er  die  Chance  dazu  bekommt.  Zu ähnlichen     Ergebnissen     kamen     Wissen- schaftler von der Freien Universität Berlin. Die Therapeuten, nach Rückfällen ihrer Patienten oft im Zentrum der Kritik, stek- ken in einem Dilemma. Schon von Berufs wegen müssen sie bei jedem Patienten erst einmal  an  die  Möglichkeit  seiner  Heilung glauben und zugleich zum Schutz der Öf- fentlichkeit misstrauisch bleiben. Ein Kon- flikt, den nicht jeder aushält: Vor einigen Jahren beging ein 45-jähriger Psychiatrie- Chefarzt in Berlin Selbstmord, weil er den Rückfall   eines   ehemaligen   Patienten   als persönlich empfundenes Versagen wertete. Doch woran liegt es, dass so viele Täter rückfällig werden? Ein Grund ist der Man- gel an genügend qualifizierten sexualme- dizinisch ausgebildeten Therapeuten: Den etwa  4.500  Sexualstraftätern  in  Deutsch- land stehen höchstens 50 Sachverständige gegenüber. Weil die Schulung bis zum Ex- perten  bis  zu  fünf  Jahre  dauert,  behilft man   sich   in   der   Zwischenzeit   etwa   in Mecklenburg-Vorpommern schon mal mit einem  Augenarzt,  der  auch  eine  psycho- therapeutische Ausbildung hat. Auch wer- den  Gutachter  häufig  erst  am  Haft-Ende eingeschaltet, und nicht schon im Prozess. Viele gefährliche Täter bleiben so zumin- dest beim ersten Mal unerkannt. Straftäter als Meister der Manipulation Kriminellen gelingt es zudem immer wie- der, die Therapeuten zu täuschen. Thomas Kurbjuhn,  der  wegen  Mordes  an  seinem Vater im Maßregelvollzug einsaß, und des- sen  Gutachter  ihm  eine  krankhafte  Cha- Ein Restrisiko bleibt Spektakuläre Klinikausbrüche und Rückfallstraftaten haben schwere Mängel beim Umgang mit Sexualstraftätern offenbart und dem Maßregelvollzug scharfe Kritik einge- bracht. Tatsächlich wird er seinen Zielen häufig nicht gerecht.  Dabei spielt der Personalmangel sicherlich eine Rolle. Jürgen Jaskolla In ihrer Einschätzung über den seelischen Zustand der Straftäter liegen die Gutachter allerdings recht häufig daneben.