Nebenbei Rechtsanwalt werden…

In Paraguay studieren viele Jura-Studenten abends, weil sie tagsüber irgendeinem Brotjob nachgehen müssen – oft in Vollzeit

Benedikt Vallendar

Jura-Studenten in Paraguay (Foto: BV)

Jura-Studenten in Paraguay (Foto: BV)

Coronel Oviedo – Das Programm kann sich durchaus sehen lassen. Wer an der UNA, der Universidad Nacional de Asunción Jura studiert, hat es mit einer breiten Palette wichtiger Einzelfächer, von Zivilrecht über  Kriminologie bis hin zu See- und Steuerrecht zu tun und muss jedes Jahr seine Abschlussprüfung bestehen, bevor am Ende der Abschluss, das „Diploma“ (Diplom) winkt; und die Absolventen, wenn sie Glück haben, in einer Firma oder der öffentlichen Verwaltung unterkommen, was in Paraguay jedoch nur wenigen vergönnt ist.

Schöner Schein

Die UNA ist mit mehreren Außenstationen über das ganze Land organisiert, weil sich dank Gebühren mit fast jedem Studienfach Geld verdienen lässt, egal wie später die Jobaussichten aussehen. Das äußere Erscheinungsbild kommt bei paraguayischen Unis oft vor den Lehrinhalten und deren Vermittlung. Eine ausgefeilte Hochschul-PR erweckt den Anschein, als ließen sich Wohlstand und sozialer Aufstieg per Studium quasi im Alleingang bewerkstelligen. Dass jährlich 150.000 eines Jahrhangs keinen Job finden, liest sich dann allein auf den Seiten ausländischer Nichtregierungsorganisationen, wie etwa bei Adveniat, dem deutschen katholischen Hilfswerk für Lateinamerika mit Sitz in Essen.
Trotz Wirtschaftswachstums gehört Paraguay zu den ärmsten Ländern in Lateinamerika, der gesetzliche Mindestlohnt (Vollzeit, 48 Stundenwoche) liegt zurzeit bei umgerechnet 320 Euro und wird beileibe nicht von allen Arbeitgebern gezahlt. Laut paraguayischem Arbeitsrecht (código laboral) dürfen Unqualifizierte „nicht weniger als 40 Prozent“ des gesetzlichen Mindestlohns verdienen, also rund 130 Euro…

Mit Jura auf dem Weg nach „oben“?

Eine der UNA-Niederlassungen für Jura befindet sich in der 50.000 Einwohnerstadt Coronel Oviedo, einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt zwischen der Hauptstadt Asunción und dem Handelszentrum Ciudad del Este an der Grenze zu Brasilien. „Bildung ist in Paraguay, wie fast überall in Südamerika, ein Geschäft, das mit der Illusion wirbt, dass ein akademischer Abschluss der Schlüssel zu materiellem Wohlstand sei“, sagt Dominik Marak, Lehrer, Franziskanermönch und Leiter eines katholischen Bildungszentrums in Coronel Oviedo. Vor allem für die Fächer BWL, Informatik und Jura, das manch einer als bessere Geisteswissenschaft missversteht, locken Unis durch großformatige Zeitungsanzeigen oder im Internet, sagt Marak. Und doch werden viele dieser schick wirkenden Hochschulen, ob schlechter Ausstattung, in der Bevölkerung und in den Medien oft als „universidad de garage“, Hinterhofuniversität verspottet. Eine gut sortierte Fachbibliothek findet sich dort ebenso selten wie ausreichend Seminarplätze oder schnelle Internetzugänge. Dabei verweisen paraguayische Dozenten gerne auf Google und Co, wenn Studenten Wissenslücken beklagen und sich manchmal überlegen, wie sie leicht an einen akademischen Abschluss gelangen könnten. Dass sich solche einer in Paraguay problemlos kaufen lässt, ist längst kein Geheimnis mehr. Fast täglich berichten Zeitungen von immer neuen Korruptionsskandalen im Bildungssystem, zuletzt passiert Mitte August 2014 an der renommierten katholischen Universität des Landes.

„Private“ Versicherungen

Und darunter leidet dann auch das Jura-Studium, das an Reputation eingebüßt hat und dessen Inhalte nur allzu oft an der Praxis vorbeigehen. Mit der Folge, dass der „Abogado“, der Rechtsanwaltstitel in Paraguay längst mehr verspricht, als er halten kann. Hinzu kommt, dass sich nur wenige Paraguayer anwaltlichen Beistand leisten können und die Streitwerte, oft im Zusammenhang mit zahlungsunwilligen Autoversicherungen, kaum über 500 Euro liegen. In Paraguay ist es üblich, dass Nachbarschaften zusammenlegen, wenn jemand in Schwierigkeiten geraten ist, sei es durch Unfall, Krankheit oder eben einen kostspieligen Rechtsstreit. An Wochenenden verkaufen Frauen selbst gemachte Kuchen und Säfte (bebidas), um mit den Erlösen Bedürftigen zu helfen. Diese Art der Versicherung mutet fragil an, scheint jedoch zu funktionieren, zumal nur knapp zwanzig Prozent der Leute überhaupt versichert sind. Anwälte haben es daher, mangels Masse, schwer, an lukrative Mandate zu gelangen.

Humboldt ist out

Und noch etwas ist hier anders als in Deutschland: Die Mehrheit derer, die in Paraguay Jura, „derecho“ studiert, tut dies in der Regel abends, ab 21.00 Uhr bis Mitternacht. Oft nach einem langen und arbeitsreichen Tag als Fahrer, Marktverkäufer oder Hausangestellte. Denn wer in Paraguay nicht arbeitet, der verhungert schlichtweg, was öfters passiert, als es Außenstehende wahrhaben wollen. Entsprechend ausgepowert sind die meisten Studenten, wenn sie abends im Hörsaal sitzen und nur für die Kamera des Fotografen ins Blitzlicht lächeln. Viele haben daheim Kinder zu versorgen, die entweder vor dem Fernseher sitzen oder von der Oma betreut werden.
Fürs Eigenstudium bleibt wenig Zeit, und im Grunde ist das auch gar nicht gewünscht. „Maßgeblich sind das Wort des Dozenten und seine Skripte, die sich Studenten neuerdings aus dem Internet herunterladen können“, sagt Angélica Martínez, die im dritten Studienjahr Jura und Psychologie studiert. Es gibt in Coronel Oviedo zwar auch eine Fakultätsbibliothek. Doch ähnelt diese eher der Materialsammlung an einer deutschen Gesamtschule. Ein Studieren in „Einsamkeit und Freiheit“ (wie es Wilhelm von Humboldt einst propagierte) ist unter solchen Bedingungen kaum möglich.

So wundert es nicht, dass sich das Jura-Studium in Paraguay eher aufs Auswendiglernen beschränkt, ohne das Gelernte kritisch zu hinterfragen. Jura studieren heißt in Paraguay: Wissen ansammeln, ohne in die Tiefe zu gehen. Auch die eigenständige Falllösung ist hier weitgehend unbekannt. Gelernt werden Gesetze, Verordnungen, „wo was steht“ und was Gerichte dazu aktuell geurteilt haben. Und wer nach sechs Jahren immer brav seine Einzelprüfungen bestanden hat, darf sich am Ende „Abogado“, Rechtsanwalt nennen – in der Regel ohne je eine Kanzlei von innen gesehen oder gar dort ein Praktikum absolviert zu haben.

Veröffentlicht von on Dez 1st, 2014 und gespeichert unter DRUM HERUM, SONSTIGES. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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