Unter den Augen der Stasi

Wie acht junge Leipziger die erste katholische Studentenverbindung der DDR gründeten

Benedikt Vallendar

Leipziger Studentenverbindung Germania (Foto: Vallendar)

Leipziger Studentenverbindung Germania (Foto: Vallendar)

Leipzig/Wermsdorf  – „Das war schon ein kleines Wunder“, sagt Steffen Kubitzki (47), Philisterconsenior der Leipziger Studentenverbindung Germania.  Mehr als 25 Jahre ist das Abenteuer nun her. Am 3. Oktober 2011, am Tag der deutschen Einheit, feierte die Verbindung im Leipziger Dominikanerkloster ihr silbernes Jubiläum. Und längst ist aus dem bunten Haufen von damals eine der angesehensten Adressen in der farbigen Leipziger Universitätslandschaft geworden. Politiker, kirchliche Würdenträger, Wissenschaftler und Spitzensportler sind häufig bei Germania Leipzig zu Gast.

Bislang keine Spitzelberichte

Einen Verein oder gar eine Verbindung zu gründen, bedeutete  in der DDR Mitte der Achtzigerjahre Gefahr, konnte mit Gefängnis bestraft werden. Die Staatssicherheit hatte das Land bis zum Herbst 1989 fest im Griff. Doch bis heute sind in den Stasiunterlagen keine Akten über die Gründung der Leipziger Germania im Jahre 1986 aufgetaucht. Einen Verräter, einen inoffiziellen Stasi-Mitarbeiter hat es in den Reihen der Leipziger Studenten offenbar nicht gegeben. „Hoffen wir, dass das so bleibt und nicht doch eines Tages noch Spitzelberichte auftauchen“, sagt Steffen Kubitzki. Das würde die Verbindung, die sich als Lebensbund versteht, vermutlich in eine tiefe Krise stürzen. Kubitzki selbst hat noch nicht nach Hinweisen auf mögliche Stasiverstrickungen bei Gemania gesucht und bis heute auch keinen Antrag auf Akteneinsicht gestellt.

Der Diplom-Ingenieur Kubitzki gehört zu den Gründern der  Germania, der ersten katholischen Studentenverbindung der DDR,  die 1986 in Wermsdorf, rund 40 Kilometer vor den Toren Leipzigs ihre Geburtsstunde hatte. Acht Studenten waren damals daran beteiligt, und die meisten sind der Verbindung bis heute treu geblieben. Kubitzki ist in seinem Amt als Philisterconsenior der zweithöchste Funktionsträger der Germania – zusammen mit der Aktivitas und anderen Alten Herren bestimmt er die Geschicke der Studentenverbindung, der bis heute einzig katholischen in der sächsischen Universitätsstadt.  „Vieles musste damals improvisiert werden“, erinnert sich Kubitzki. „Einige hatten sich über Umwege Bänder und Mützen besorgt“,  sagt er. Und: „Was nicht besorgt werden konnte, wurde kurzerhand selbst geschneidert“. Do it yourself gehörte in der DDR zum Alltag.

Gründung in einem Hinterzimmer

Und wie lief die Gründung, ein Jahr nach dem Machtantritt Michael Gorbatschows als Generalsekretär der KPdSU, konkret ab? Im Hinterzimmer einer heute nicht mehr existenten Kneipe trafen sich am 8. Februar 1986  besagte Leipziger Studenten, um das Unternehmen Germania aus der Taufe zu heben. „Mit dabei waren auch drei sowjetische Offiziere, die das Ganze wohl nur für einen Spaß hielten und anschließend sogar mit uns sangen“, erinnert sich Kubitzki. Dass das Anstoßen mit Bier, das darauffolgende Salamandertrinken und der Zipfeltausch nach altem studentischen Brauch erfolgte, im Grunde  eine politisch “negative“, wenn nicht gar staatsfeindliche Handlung gegen die DDR war, ging an den Vertretern der russischen Besatzungsmacht vorbei. „Wahrscheinlich waren die Offiziere schon so betrunken, dass sie gar nicht kapierten, was da eigentlich vor ihren Augen passierte“, sagt Kubitzki. Die damals in der DDR stationierten Rotarmisten waren für ihre Trinkfestigkeit berühmt.

Drohende Relegation

Und wie ging es mit Germania damals weiter? Das Verbindungsleben fand zunächst heimlich statt. „Bei Bekanntwerden der Mitgliedschaft drohte die Relegation von der Universität“, sagt Kubitzki. Die Kirchen wurden in der DDR vom Regime misstrauisch geduldet, doch wer sich politisch zu weit aus dem Fenster lehnte, sich gar revanchistisch verhielt, riskierte, ins Visier der Staatssicherheit zu geraten. Beliebte Rückzugsräume für die frisch Korporierten waren in den Anfangsjahren Hinterzimmer einsam gelegener Lokale im Leipziger Umland, Privatunterkünfte oder, wenn es der Pfarrer erlaubte, die Räume der katholischen Hochschulgemeinde. Die Leipziger Gemeinde bildete zu DDR-Zeiten für viele Christen ein Rückzugsort, wo geschehen konnte, was andernorts, aus Angst vor den Häschern der Staatssicherheit, unmöglich gewesen wäre.

Dass ausgerechnet Leipzig zum Zentrum der späteren DDR-Opposition wurde, hatte auch etwas mit den gut funktionierenden, kirchlichen Strukturen in der Messestadt zu tun. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. „Bei uns haben katholische Studenten von jeher eine Heimat im oft hektischen und anonymen Universitätsalltag“, sagt Steffen Kubitzki. Aktive Studenten können bei Germania preisgünstig in bester Unilage wohnen und haben unter den Alten Herren stets einen Ansprechpartner, für den Fall, dass sie Hilfe im Studium benötigen. Nahezu alle Fächer sind bei Germania vertreten. Medizinstudenten wenden sich an praktizierende Ärzte, angehende Historiker an gestandene Archivare oder Studienräte, wenn sie Anliegen zum Studium haben. Auch bei attraktiven Praktikumsplätzen haben die Alten Herren schon ihre „Verbindungen“ spielen lassen, wird in Kreisen außerhalb der Leipziger Verbindung gemunkelt.

Gottschalk und Ratzinger

In den Jahren vor dem Zusammenbruch des SED-Regimes im Herbst 1989 knüpften die Leipziger Studenten über inoffizielle Kanäle bereits Kontakte nach Westdeutschland, von wo sie frühzeitig Unterstützung erhielten. Die Stasi wollte oder konnte nichts mehr gegen sie unternehmen. Germania blieb bestehen und frei. Und doch dauerte es nach der Wende noch knapp drei Jahre, bis Germania schließlich 1992 dem Cartellverband der katholischen deutschen Studentenverbindungen (CV), dem mit 30.000 Mitgliedern größten konfessionellen Akademikerverband Europas, beitrat. Bekannte CVer sind übrigens auch Papst Benedikt XIV. Joseph Ratzinger und der Showmaster Thomas Gottschalk.

Als sich Leipzig in den Nachwendejahren allmählich wieder zu einem angesehenen Hochschulstandort entwickelte, zogen auch vermehrt katholische Studenten in die Messestadt – und landeten teilweise bei Germania, die heute in  einer 120 Quadratmeter großen Eigentumswohnung in der Schulze-Boysen-Straße 14 ihren Sitz hat.

Veröffentlicht von on Jul 9th, 2012 und gespeichert unter DRUM HERUM, RECHT HISTORISCH. Sie können die Kommentare zu diesem Beitrag via RSS verfolgen RSS 2.0. Sie können eine Antwort durch das Ausfüllen des Kommentarformulars hinterlassen oder von Ihrer Seite einen Trackback senden

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